2. KulturKontakte-Werkstattgespr�ch
"Tourismus & Kultur Leistungen, Erwartungen, Ertr�ge" vom 26.09.2003




 
 



Einf�hrung:
Martin Exner, Gesch�ftsf�hrer der Industrie- und Handelskammer L�neburg-Wolfsburg


Jens Joost-Kr�ger, Marketing GmbH "Bremen Kulturhauptstadt Europas"
"Was erwarten Touristiker von Kulturinstitutionen"


Prof. Dr. Peter Bendixen, Prof. der Hochschule f�r Wirtschaft und Politik
"Kulturinitiativen profilieren die Region"



 
Martin Exner
Gesch�ftsf�hrer der Industrie- und Handelskammer L�neburg-Wolfsburg




Meine Damen und Herren,
ich begrüße Sie alle recht herzlich zum 2. KulturKontakte-Werkstattgespräch hier in Celle. Und kein Ort könnte wohl hierfür im Hinblick auf unser Thema

"Tourismus und Kultur - Leistungen, Erwartungen, Erträge"


geeigneter sein als der Rittersaal des Celler Schlosses. Dass das Celler Schloss mit Theater und Museum ein kulturelles Gut von höchstem Wert darstellt, bedarf ebenso wenig einer besonderen Erläuterung wie die Bedeutung des Celler Schlosses als touristischem Magneten.

Ich begrüße Sie heute nicht als Vertreter der IHK Lüneburg-Wolfsburg, sondern als Vertreter aller Einrichtungen, die seit dem Jahr 2000 das Projekt "KulturKontakte" auf den Weg gebracht haben. Und da ist an erster Stelle die Bezirksregierung Lüneburg mit Frau Dr. Frühauf zu nennen, darüber hinaus die Handwerkskammer, die IHK Stade und meine eigene IHK. Begrüßen darf ich Sie auch namens der Stadt Celle, die nicht nur für die Räumlichkeiten unseres Werkstattgesprächs gesorgt hat, sondern die in diesem Jahr auch der örtliche Mitveranstalter unserer "KulturKontakte"-Veranstaltung am 5. Dezember in der Celler Congress Union und dieses Werkstattgesprächs ist. Ihnen, Frau Schütte, als Stadträtin, Ihnen, Frau McDowell, als Kulturamtsleiterin, und Ihnen Herr Bürgermeister Dr. Stumpf und der Stadt Celle auch insgesamt an dieser Stelle bereits ein herzliches Dankeschön für Ihr Engagement.

Meine Damen und Herren,
die Werkstattgespräche sind fast schon so etwas wie eine Tradition bei "KulturKontakte". Denn bereits bei der ersten "KulturKontakte"-Veranstaltung 2001 hatten wir einen Workshop zum "Kultur-Sponsoring" im Programm gehabt. 2002 war dann im Rahmen des Aussteller-Vorgesprächs die Frage nach der Finanzierbarkeit von Kultur unter den heutigen Rahmenbedingungen Thema, heute nun das Verhältnis von Tourismus und Kultur.

Das Thema ist nicht neu: Bereits 1993 haben z. B. die niedersächsischen IHKs zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände, dem Landesfremdenverkehrsverband Niedersachsen - Bremen, dem DEHOGA, dem Verband der Campingplatzhalter und dem Heilbäderverband ein Grundsatzpapier zu diesem Thema herausgegeben. Lassen Sie mich kurz daraus zitieren:

Verschiedene Gründe haben die Träger des Fremdenverkehrs dazu veranlasst, sich intensiver mit dem Thema "Kultur und Tourismus" zu befassen, vor allem:

1. die wachsende gesellschaftliche Bedeutung von Kultur, die zu einem veränderten Stellenwert des kulturellen Aspektes innerhalb des Tourismus geführt hat,

2. die wechselseitige Abhängigkeit von Kultur und Tourismus und die mit ihr verbundene Erhöhung des Freizeitnutzens einer Region,

3. die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung kultureller Leistungen für Einkommen und Beschäftigung in der Wirtschaft, insbesondere für die Gastronomie, den Handel und die Freizeitwirtschaft und

4. die wachsende Bedeutung von Kultur als Standortfaktor.

Generell gilt: Kulturtourismus ist heute längst keine Angelegenheit von Minderheiten mehr. Dies belegen steigende Besucherzahlen in Theatern und Museen, wachsende Teilnehmerzahlen an Stadtführungen, die Ausarbeitung von Kulturrouten sowie die zunehmende Beliebtheit von Festivals und Festspielen. Der Kulturtourismus ist somit als Wirtschaftsfaktor nicht zu unterschätzen.


Soweit das Grundsatzpapier von 1993. Neuere Erkenntnisse im Hinblick auf die Situationsanalyse haben wir m. E. auch zehn Jahre später nicht. Allerdings vermag ich auch nicht festzustellen, dass das Grundsatzpapier zu einer deutlichen Belebung des Miteinanders von Kultur + Tourismus geführt hätte. Wäre dies der Fall gewesen, dann wäre sicherlich diese Veranstaltung heute überflüssig und Ihr Interesse nicht so groß. Dass kulturelle Ereignisse touristische Besucherströme auslösen, diese Erkenntnis ist banal und allgegenwärtig. Dass es dabei nicht nur um die Ausstellungs-Highlights großer Museen oder z. B. die Dokumenta, die alle fünf Jahre durchschnittlich 600.000 Besucher nach Kassel zieht, geht, ist eine ebenso bekannte Tatsache. Die Erkenntnis gilt auch bei uns in der Region, wie die Besucherzahlen vom Kiekeberg-Museum im Norden über die "Sommerlichen Musiktage" in Hitzacker und die "Kulturelle Landpartie" im Wendland im Osten bis zu der "Celler Streetparade" und der "Celler Hengstparade" im Süden, dem Museumsdorf Hösseringen bei Suderburg oder den Glaskunstausstellungen in Munster und dem Kunstverein "Springhornhof" im Westen Jahr für Jahr aufs Neue unter Beweis stellen. Man möge mir nachsehen, dass ich nur Beispiele aus meinem IHK-Bezirk gewählt habe. Und Besucherströme zur Kultur sind auch potenzielle Kundenströme für die lokale Hotellerie, Gastronomie und den örtlichen Einzelhandel. Aber sind wir in allen Bereichen ausreichend darauf vorbereitet? Hat die Tourismusbranche sich des Themas "Kulturtourismus" schon in hinreichender Weise angenommen? Aber auch andersherum ist die Frage zu stellen: Hat die Kultur sich hinreichend bewusst gemacht, dass sie ein touristischer Magnet sein kann?

Klar ist: Kultur und Tourismus schließen sich nicht etwa gegenseitig aus, sondern sollten sich im wohlverstandenen Eigeninteresse als Partner begreifen, die sich gegenseitig und vor allem gemeinsam zu mehr Erfolg verhelfen können. In der Verknüpfung und Vermarktung von Kultur und Tourismus liegt - davon bin ich überzeugt - noch viel Potenzial, das entdeckt werden will. Bereits heute aber rangiert der Kulturtourismus bundesweit auf Platz 5 aller Reisearten, im Städtetourismus sind kulturelle Inhalte inzwischen der Hauptreisegrund.

Dass die Beschäftigung mit dem Phänomen "Kultur & Tourismus" keine Randerscheinung mehr ist, mag man alleine daran schon ablesen, dass man, wenn man beide Begriffe in die Internet-Suchmaschine "Google" eingibt, über 720.000 Treffer erhält. So existiert auch kaum noch eine Präsentation, kaum noch ein Entwicklungsszenario oder ein Leitbild einer Stadt oder einer Region, in dem das Miteinander von Kultur und Tourismus nicht thematisiert wird.

Was ist zu tun? Mit dem Blick auf den Tourismus müssen wir über den kulturellen Wert eines Ortes oder einer Region nachdenken und dabei die Vielfalt der vorhandenen Angebote als Bestandteile des kulturellen Gesamtprofils einer Region begreifen. Dieses kann nur - ohne dass es dabei darum gehen kann, Kultur unter einer touristischen Zielsetzung lenken zu wollen - aus einem gemeinsamen Handeln heraus, aus einem Dialog der Akteure beider Seiten, entwickelt werden. Für die kulturellen Einrichtungen wird es u. a. darum gehen, dem eigenen Profil angepasste Angebote und ein Marketing-Konzept zu entwickeln, durch das die Produkte auch von Interessenten außerhalb des Kunstbetriebs nachgefragt werden. Diese "Produktentwicklung" gelingt zurzeit den einzelnen Einrichtungen unterschiedlich gut. Ein Bereich, bei dem aber z. B. die Hilfe der Wirtschaft in Anspruch genommen werden kann, um einen höheren Grad an Professionalität zu erreichen.

Für die Region Nord-Ost-Niedersachsen befinden wir uns bereits auf einem guten Weg. Mit der gemeinsamen Veranstaltung "KulturKontakte" haben die Bezirksregierung Lüneburg, die Handwerkskammer Lüneburg-Stade sowie die IHKs Stade und Lüneburg-Wolfsburg ein Forum geschaffen, in dem jetzt bereits seit zwei Jahren Unternehmer und kulturelle Einrichtungen zusammengeführt wurden und im Dialog miteinander die gemeinsamen Möglichkeiten ausgelotet haben. Die gestiegenen Teilnehmer- und Besucherzahlen haben dabei nicht nur die Relevanz des Themas belegt, sie haben auch deutlich gemacht, dass wir uns mit der gewählten Form auf dem richtigen Weg befinden.

Dies gilt auch für den heutigen Tag. Nutzen wir ihn zu dem, was das Hauptziel unserer Bemühungen ist: Zum Dialog von Kultur und Wirtschaft, zum Gespräch zwischen Kultur und Tourismus mit dem Ziel, dass wir erneut erkennen können, dass 1 plus 1 mehr als 2 sein können.

Zu diesem Zweck haben wir eine Reihe kompetenter Referenten eingeladen und dem ersten von ihnen möchte ich dann auch die Moderation des Nachmittags übertragen. Wie Sie dem Programm entnehmen können, fangen wir mit den Erwartungen der Wirtschaft an. Jens Joost-Krüger wird zum Thema "Die Erwartungen der Touristiker an die Kulturinstitutionen" sprechen. Herr Joost-Krüger ist heute für die Bremer Marketing GmbH tätig und betreut dort die Bewerbung Bremens als Kulturhauptstadt Europas im Jahre 2010. Das allein hätte für uns nicht ausgereicht, um ihn einzuladen. Denn wir fragen uns natürlich schon, ob Erfahrungen aus Metropolen auf das flache Land übertragbar sind. Herr Joost-Krüger war aber über sieben Jahre auch Geschäftsführer der Worpsweder Touristik und Kulturmarketing GmbH und Geschäftsführer der Touristikagentur "Kulturland Teufelsmoor". Außerdem ist er Initiator der kulturtouristischen Gemeinschaftsinitiative europäischer Künstlerdörfer "artistsvillages".
Herr Joost-Krüger, wir freuen uns auf Ihren Vortrag.

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Jens Joost-Krüger
Marketing GmbH "Bremen Kulturhauptstadt Europas"




Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich bin gebeten worden, heute aus Anlass Ihres Werkstattgesprächs "KulturKontakte" eingangs etwas zu den Ansprüchen der Touristiker an die Kultur zu sagen und im Anschluss an die Beiträge von Herrn Prof. Dr. Bendixen und .Dr. Jochen Meiners.. eine Podiumsdiskussion zu moderieren. Der Einladung bin ich sehr gern, neugierig und erwartungsvoll gefolgt.
Ihre Tagung und ihr Thema "Kulturkontakte" interessiert mich sehr, weil ich während meiner beruflichen Tätigkeit in Worpswede immer wieder mit sehr unterschiedlichen Auffassungen konfrontiert war, wie viel und welche Kontakte der Kultur und der Kunst gut tun. Mittlerweile komme ich aus einem anderen Bundesland zu dieser niedersächsischen Tagung und gewissermaßen auch als Konkurrent. Die Stadt Bremen bewirbt sich als Kulturhauptstadt Europas 2010 unter anderem gegen die Konkurrenz aus Braunschweig und Osnabrück.
Gemeinsam ist diesen Städten und den zur Zeit 12 weiteren deutschen Städten, dass sie große Hoffnungen darauf setzen, Kulturhauptstadt Europas zu werden. Sie alle erwarten, dass die Kultur und die überregionale Öffentlichkeit die städtische Entwicklung stärken kann.
Wer hätte das gedacht, dass der Kultur eine solche Bedeutung für das Wohl unserer Städte zukommen könnte?

Ich hoffe sehr, dass ich die in mich gesetzten Erwartungen nicht allzu sehr enttäusche, wenn ich im Folgenden nicht stur die touristischen Bedingungen und Voraussetzungen der Vermarktbarkeit kultureller Angebote herunterbete.
Ich bin überzeugt davon, dass bei allem nötigen Respekt vor den jeweils besonderen Geschäftsbedingungen Tourismus und Marketing einerseits und Kulturträgern andererseits ein gegenseitig sehr förderliches Verhältnis zueinander entwickeln können und vielleicht hier und da im Lande bereits erreicht haben.

Anfangen möchte ich mit einer kurzen Schilderung der Schwierigkeiten im Umgang zwischen Tourismus und Kultur, um dann ein paar Sätze darüber zu verlieren, wie sich die Bedeutung von Kultur in der Öffentlichkeit verändert hat.
Abschließend komme ich zu einem Plädoyer für ein neues Vertrauensverhältnis zwischen Marketing und Kultur.

Das Verhältnis zwischen Kultur und Tourismus ist voller Erwartungen aneinander und gleichzeitig voller Unmut, Ärger und Missverständnissen. Der Umgang miteinander birgt ein Feld voller Spannungen, Fallen und Fettnäpfchen.

Kunst und Kultur auf der einen Seite sperren sich gegen die Zumutungen touristischer Verwertungsinteressen. Außerdem hält sich das Interesse an Touristen, jener menschlichen Spezies, die mit kurzer Hose und weißen Socken oder als weibliche Variante in adretter Blümchenbluse aus Reisebussen steigt, arg in Grenzen.

Die Tourismuswirtschaft auf der anderen Seite sieht die Kultur als einen nicht ausreichend zuverlässigen Partner und Leistungsträger für vermarktbare Produkte.

Ein Beispiel aus Worpswede mag das Verhältnis aus der Sicht der Kulturszene auf den Punkt bringen. Begleitend zur EXPO im Jahr 2000 fand in den Worpsweder Museen und im öffentlichen Raum eine Ausstellung auch zeitgenössischer Kunst unter dem Titel "Sehnsucht nach Landschaft?" statt. Eine lokale Künstlerin hatte damals an einer der wichtigsten touristischen Laufstrecken einen pinkfarbenen Bretterzaun um eine Tanne gebaut und darauf in großen schwarzen Lettern unter anderem die Frage gestellt: "Wozu Kunst, wenn es Torte gibt?"

Aus touristischer Sicht sollte man die Frage mehr als ernst nehmen. Denn wie weit reicht die Torte - selbst wenn es sich um leckere regionaltypische Buchweizentorte handeln mag - für touristische Marketingstrategien und für die Suche nach lokalen der regionalen Alleinstellungsmerkmalen?

Kultur, mancherorts auch die Kunst, prägt lokale und regionale Kernkompetenzen und liefert Alleinstellungsmerkmale. Es sind die jeweils spezifischen kulturellen Gegebenheiten, die Regionen oder touristische Destinationen voneinander unterscheiden und die Menschen entscheiden lassen, wohin sie sich zum Tagesausflug, zur Kurzreise oder zum Jahresurlaub wenden.

Sicherlich spielen auch andere Kriterien wie der Preis eine Rolle und sicherlich ist die Tourismusindustrie dazu übergegangen künstliche Erlebniswelten zu schaffen, die es erlauben, ohne langwierige Diskussionsprozesse mit einer Vielzahl lokaler Kulturträger und touristischer Leistungsträger ein vermarktbares Produkt herzustellen. Dennoch zeigt ein Gang durch die Hallen der ITB alljährlich ein deutliches Wachstum der Ausrichtung deutschen Destinationsmanagements an authentischer regionaler Kultur.

Ich bin bisher von einem breiten, gewissermaßen europäischen Kulturbegriff ausgegangen: Ein Begriff, der weit über die sogenannte Hochkultur der bildenden Künste, der Museen, Theater- und Opernhäuser hinausgeht und der die Kulturlandschafen, die Stadtentwicklung und Architektur, die Industriekultur bis hin zu Mentalitäten, Sitten und Bräuchen mit einbezieht. Touristische Strategien lassen sich auf diesem Kulturbegriff erst dann aufbauen, wenn die kulturellen Spezifika in Produktform vermarktbar werden und ein Publikum finden.

In vielen ländlichen Regionen sowieso und zunehmend auch in den Städten ist die kulturelle Öffentlichkeit eine kulturtouristische. Worpswede zum Beispiel braucht für 5000 Einwohner keine 5 Museen und eine Vielzahl von Galerien und öffentlich zugänglicher Ateliers. Und das ist noch nicht einmal wirklich neu. Denn auch vor 120 Jahren waren die Gründer der Künstlerkolonie auf das Interesse und kaufinteressierte Besucher angewiesen, die von außerhalb - meist aus den Städten - in das Moordorfes kamen. Die Geschichte der Künstlerdörfer Europas lässt sogar erkennen, dass die Etablierung und Institutionalisierung eines Kunstmarktes die Voraussetzung für einen dauerhaften Zuzug immer wieder neuer Künstler und Künstlergenerationen war. Das aber nur am Rande.

In dem Künstler - Dorf und in den ländlichen Regionen, die mehr Kultureinrichtungen als für die Ansprüche der eigenen Bevölkerung notwendig aufrecht erhalten, ist Kunst und Kultur auf das Interesse einer regionalen und überregionalen Öffentlichkeit angewiesen.

Vielleicht erleichtert es das Verständnis zwischen Kultureinrichtungen und Kulturträgern und Touristikern etwas, wenn von der Herstellung von Öffentlichkeit für Kultur anstatt von Tourismus die Rede wäre.

Das soll natürlich nicht verschleiern, dass aus Sicht regionalen oder städtischen Marketings das Interesse an Öffentlichkeit für Kultur eng mit ökonomischen Interessen verknüpft ist. Darin mag die Gefahr stecken, Kunst und Kultur touristischen oder ökonomischen Verwertungsinteressen zu unterwerfen. Doch größer scheinen mir die Chancen, Kulturerbe und zeitgenössische Kunst durch kulturtouristische Öffentlichkeit dauerhaft in Wert zu setzen.

Dabei müssen allerdings auch veränderte Realitäten zur Kenntnis genommen werden. Die Kultur hat ein ähnliches Schicksal erlitten wie die Öffentlichkeit. Diese ist längst nicht mehr wie zu Zeiten ihrer Konstituierung durch die Exklusivität des - bürgerlichen - Publikums geprägt, sondern durch die Selektivität der Themen. Und die Themen sowie die jeweilige gesellschaftliche Tagesordnung sind nicht irgendwie gegeben, sondern werden gemacht, gesetzt und hergestellt. Berti Voigts hat das in seiner philosophischen Art so formuliert: " Die Realität ist anders als die Wirklichkeit."

Auch in der Kultur gibt es längst keinen fest gefügten Kanon an konsentierten Themen und gemeinsamen Überzeugungen mehr. Was Kultur ist (die Fahrkultur eines Autos oder die Unternehmenskultur wollen wir hier mal beiseite lassen) wird immer uneindeutiger. Und wer dazu gehört und wer nicht, wird immer unklarer. Auf jeden Fall ist Kultur zum Bestandteil des multioptionalen Erlebnismarktes geworden. Was Multioptionalität der Konsumenten bedeutet, bringt eine vor Kurzem hängende Großflächenwerbung mit folgender Headline auf den Punkt: "Bei Aldi Schampus kaufen. Und Skoda Superb fahren. Perfekt."

Als Konsequenz heißt das nur, dass Kultur sich erklären und vermitteln muss. Und das bedeutet Marketing. Und Marketing heißt im Kern, vom Kunden her zu denken.

Die wichtigste Aufgabe kulturtouristischer städtischer oder regionaler Marketingorganisationen ist es, möglichst viele Tagesbesucher und Übernachtungsgäste zu gewinnen. Die Herstellung von Image und Sichtbarkeit folgt keinem Selbstzweck, sondern zielt auf regionalwirtschaftliche Effekte. Was nutzt ein klasse Kulturangebot, wenn keiner davon weiß und folglich auch niemand kommen kann. Nicht zuletzt sind erfolgreiche wirtschaftliche Effekte auch Grundlage der Kulturfinanzierung.

Das soll nun aber niemand als Aufruf zur Unterwerfung von Kulturproduktion und Kunstschaffen unter die Zielgruppenanalysen der Marketingabteilungen missverstehen.

Die Kunst ist frei und sie ist zweckfrei. Kunst ist keine x-beliebige Ware. Ihr Sinn steht im Vordergrund, nicht ihr Nutzen. Ein Bremer Kollege spricht sehr schön von der "Zwecklosigkeit aber Sinnhaftigkeit von Kunst." Kunst und Kultur brauchen Freiräume für ihre Entfaltung, frei von politischen Eingriffmöglichkeiten, bürokratischer Gängelung und auch frei von ausschließlicher Marktorientierung. Kunst darf natürlich gefallen. Aber als Kunst darf nicht nur gelten, was gefällt. Insofern sind unabhängige, widerständige Kultureinrichtungen wichtig. Solche, die darüber wachen, dass nicht jedes Theater zum touristisch vermarktbaren Musical wird und Museen nicht zu Messehallen der Events rund um ein Dutzend gut vermarktbarer Künstlernamen werden. Kultur ist nicht reduzierbar auf tourismuswerbliche Funktionen, auf regionalwirtschaftliche Effekte und Standortmarketing. Sie ist aber auch keine selbstgenügsame Veranstaltung für die happy few der Eingeweihten.

Regionalmarketing und Tourismus bieten der Kultur Kommunikationswege in die Öffentlichkeit. Also, Packages touristischer Angebote, kundenfreundlicher Service, Ticketing, Call Center und Hotlines, Maximierung von Aufmerksamkeit, Techniken der Marken- und Imagebildung. Regionalmarketing und Tourismus haben das Handwerkszeug, Kultur zu vermitteln und sind ernst zu nehmende Gesprächspartner, wenn es darum geht, sich ändernde Bedingungen von Markt und Öffentlichkeit wahrzunehmen und die Kommunikationsstrategie neu auszurichten.

Die Angebote zur Kooperation in diesem Bereich leiden nach wie vor an oft banalen, alltäglichen Problemen. Kultur- und Veranstaltungsplanung haben völlig andere Vorlaufzeiten als die Marketingstrategien und Kommunikationswege von Touristikern. Das konkurrierende Eigeninteresse der Kulturträger verhindert häufig lokale oder regionale Markenbildung, wenn noch nicht einmal die Harmonisierung von Öffnungszeiten, die Einführung gemeinsamer Eintrittskarten und die langfristige Absprache von Ausstellungs- und Veranstaltungsplanung unter den Kulturträgern einer Stadt oder einer Region durchsetzbar ist.

Selbstverständlich sollten sich Tourismus- und Regionalmarketing bei der Gestaltung von Kultur, beim Produkt, heraushalten. Doch die Kulturträger sollten ein ernsthaftes Interesse daran entwickeln, die Qualität und den Sinn ihrer Produkte vermitteln zu wollen. Dabei kann und soll nicht immer an das ganz große überregionale Publikum, das Fußballstadien füllt, gedacht werden. Die meisten Städte und Regionen, vielleicht abgesehen von der Küste oder wenigen Zielen in der Lüneburger Heide benötigen zur Aufrechterhaltung ihres kulturellen Angebotes eine regionale kulturelle Öffentlichkeit mit wiederkehrenden Besuchern.

Es wäre ein wichtiger Schritt der gemeinsamen Professionalisierung, wenn die Kultur sich zukünftig stärker für Strategien der Vermittlung und der Kommunikation öffnet. Es ist absehbar, dass die Diskussionen untereinander nicht immer einvernehmlich verlaufen werden, selbst dann nicht, wenn die Probleme von unterschiedlicher Langfristigkeit von Planungsvorläufen geklärt sind.
Denn auf welcher Basis sollte die Beurteilung der öffentlichen Reichweite von Kultur objektiv entschieden werden? An diesem Punkt wird auch über die Qualität und die Vermittelbarkeit von Kunst und Kultur zu reden sein. Oder vielleicht sollten wir uns gemeinsam ernsthaft der Frage nach den Begründungszusammenhängen von Kultur neu und immer wieder neu stellen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit

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Peter Bendixen
Prof. der Hochschule f�r Wirtschaft und Politik



Kulturinitiativen profilieren die Region


Das Thema "Kulturinitiativen profilieren die Region" befasst sich mit einem Nebeneffekt. Ich gehe davon aus, dass Kulturinitiativen in erster Linie sich selbst profilieren wollen, indem sie sich bestimmten künstlerischen oder kulturellen Anliegen widmen.

Der Nebeneffekt, um den es hier geht, hat es allerdings in sich. Das Muster für solche Erscheinungen hat uns der bekannte Ökonom Adam Smith schon im 18. Jahrhundert geliefert, als er - Moralphilosoph, der er war - der erstaunten Öffentlichkeit erklärte, der wirtschaftende Mensch sei von Natur aus ein Egoist, aber die unsichtbare Hand des Marktes steuere sein Wirtschaftshandeln dennoch so, dass eine gesellschaftliche Wohlstandssteigerung bewirkt wird. Ich möchte versuchen zu zeigen, dass bei der Profilierung einer Region keine unsichtbaren Hände im Spiel sein müssen, sondern politische Gestaltung an ihre Stelle treten kann.

Mein Thema setzt sich aus zwei nicht gerade einfachen, zudem ineinander verhakten Fragestellungen zusammen:
1. Wie erkennt man das Profil einer Region?
2. Welchen Anteil hat Kultur an der Formung des Profils?

Die erste Frage nimmt die Position des Wahrnehmenden ein, der sich ein Bild von einer Region macht. Die zweite Frage nimmt die Position derer ein, die an diesem Bild arbeiten und es einprägsam machen wollen.

Was beide Fragestellungen miteinander verbindet, hat etwas mit dem Prozess der öffentlichen Kommunikation zu tun, mit den Medien und Marktplätzen, mit dem Publikum und den endlosen Versuchen, dessen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aus welchen Interessen auch immer.

In der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erreichen, ist eine ebenso alte wie historisch wandelbare Praxis. Das Wort "Reklame" war schon zu einer Zeit gebräuchlich, als die Marktwirtschaft gerade erst begann, zur dominanten Wirtschaftsform zu werden, und als die Waren der Kaufleute nicht mehr nur exklusiven, sondern breiten Kreisen der Bevölkerung angepriesen wurden, nämlich um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Waren öffentlich anzupreisen, galt unter ehrbaren Kaufleuten zuvor als ungehörig. In einer englischen Abhandlung von 1754 heißt es:

"Noch vor wenigen Jahren wurde es von angesehenen Geschäftsleuten als herabwürdigend betrachtet, sich mittels Zeitungsinserate an das Publikum zu wenden." (Josef Kulischer: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Bd. II Die Neuzeit. Darmstadt 1958, S. 415)

In einem anderen Dokument heißt es:

"... Der Misserfolg der Leipziger Messe von 1821 wurde von ... Kaufmannskreisen erklärt durch die� von den Engländern aus Not eingeführte und sodann von deutschen Fabrikanten und Zwischenhändlern nachgeahmte Gewohnheit, ihre Waren überall, in den Kleinstädten, Provinzstädten und selbst an Dorfkrämer durch ausgesandte zahlreiche Reisediener ... direkt ins Haus zu schicken, wodurch die Einkäufer .. von dem Besuche der Messen und Märkte zurückgehalten werden." (Josef Kulischer: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Bd. II Die Neuzeit. Darmstadt 1958, S. 515)

Öffentlichkeitsarbeit hat - wie wir sehen - ihren Ursprung in der Wirtschaft, genauer: in dem wachsenden öffentlichen und zugleich immer anonymer werdenden Marktraum, und sie hat sich von den großen Handelszentren hinaus in die Region ausgebreitet. Dem muss natürlich eine signifikante Zunahme an Kaufkraft in der Bevölkerung und damit eine Anhebung des Lebensstandards vorausgegangen sein.

Heute sind es selbstverständlich nicht mehr nur die Fabrikanten und Händler, die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit für sich schaffen, sondern alle, die in irgendeiner Weise das Publikum für sich gewinnen wollen: Politiker, Kunst- und Kulturschaffende, Bürgerinitiativen und Interessenverbände aller Art. Und sie schicken heute nicht mehr ihre Reisediener in die Region, sondern bedienen sich der Medien, die dank des technisches Fortschritts mittlerweile in großem Umfang elektronischer Natur geworden sind. Die Medien sind die großen Macher der Öffentlichkeit. Wer etwas erreichen will, muss sich ihrer bedienen.

Eine Besonderheit dieser zunächst nur den Warenhandel erfassenden Entwicklung liegt im Übergang von der direkten Warenpräsentation auf Marktplätzen, wie wir sie heute nur noch auf Wochen- und Trödelmärkten finden, hin zu einer Stellvertreterpräsentation, z.B. in Schaufenstern oder als Warenmuster in Regalen, und schließlich zu bildlichen Surrogaten, also beispielsweise Abbildungen in Katalogen oder auf Computerbildschirmen. Der physisch gegenwärtige Marktplatz ist mit der Zeit ersetzt worden durch die unkörperliche Öffentlichkeit.

Das Abbild einer Sache, das in die Öffentlichkeit gebracht wird, ist selber ein wahrnehmbares Objekt, das im Normalfall allerdings eine erkennbare Entsprechung zum abgebildeten Objekt hat. Abbild und reales Gegenstück sind beides Erscheinungen der Außenwelt, die wir wahrnehmen und interpretieren können. Von beiden haben wir einen Sinneseindruck, der die Wahrnehmung der Unterschiede gewöhnlich auch einschließt. Wir haben es folglich immer nur mit Einbildungen zu tun, die unser Gehirn auf Grund von sinnlichen Wahrnehmungen konstruiert. Auf Grund von Erfahrungen differenzieren wir bewusst oder unbewusst in den meisten Fällen zwischen einem Abbild und dem abgebildeten Objekt. René Magritte hat dies auf eindrucksvolle Weise mit seinen Bildern demonstriert.

Künstler haben vielfach mit dieser Dreiecksbeziehung zwischen einem Gegenstand, seiner Abbildung und den inneren Eindrücken (Inner Visions¹) gespielt. Die Impressionisten haben dies zu einem einflussreichen Malstil gemacht. Der Impressionismus nimmt Eindrücke vom Gegenstand auf, die nicht eine bloße Abbildung, also etwa eine reale Landschaft, wiedergeben, sondern zielt auf bestimmte Effekte, die im wahrnehmenden Gehirn einen von der Realität abweichenden Eindruck hinterlassen. Der Ausdruck "Impressionismus" geht auf ein Gemälde des französischen Malers Claude Monet von 1872 zurück, das den Titel "Impression, soleil levant" trägt.

Die moderne Malerei ist den Weg in die Gegenstandslosigkeit, also die reine ästhetische Komposition, immer weiter gegangen. Die Wirtschaft kann dem in ihrer werblichen Kommunikation aus verständlichen Gründen nicht folgen. Kommt nämlich auf Grund einer werbenden Abbildung ein Kauf zustande, muss eine entsprechende Ware geliefert werden können.

Ich überspringe jetzt zu weit führende Erklärungen über abstrakte Firmenlogos, Firmenimages oder Corporate Identities, die manchmal Phantasiegebilde sind. Uns soll mehr die Frage interessieren, was es mit dem Image oder Profil einer ganzen Region auf sich hat und in welchem Sinne es vielleicht auch hier darum geht, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen.

Die Region ist ein real existierendes Etwas, das wir in Gestalt von Landkarten, Bildbänden und eigenen Erfahrungen in unserem Gedächtnis speichern. Auch das sind nur Einbildungen. Sie beruhen auf Wahrnehmungen und Vergegenwärtigungen aus dem Gedächtnis. Sie sind aber keinesfalls vollständig und objektiv. Unser Gehirn speichert immer nur eine Auswahl von Sinneseindrücken, und diese Auswahl ist durch unser Vorwissen gesteuert. Die amerikanische Schriftstellerein Ana�s Nin hat das einmal so formuliert: Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind; wir sehen sie, wie wir sind.

Unser Gehirn funktioniert in der Regel so, dass es durch sinnliche Wahrnehmungen solche Tatsachen ins Visier nimmt, die aus irgendwelchen Gründen für wichtig gehalten werden. Mit Hilfe einer geübten Einbildungskraft können wir aus unvollständigen Wahrnehmungen mit unseren inneren Augen Dinge sehen, die gar nicht anwesend sind. Wir können uns aus dem Studium einer Landkarte durchaus eine plastische Vorstellung von einer Landschaft machen. Ich möchte nicht so weit gehen, dass das Studium einer Landkarte uns den physischen Urlaub ersetzen kann, aber unsere Vorstellungen von der Welt, unsere Weltanschauungen, sind doch in erheblichem Umfang Bilderwelten. Die Distanz zwischen Realität und Abbild ist für uns kulturell fundamental geworden, weil unsere Weltvorstellungen in maßgeblichem Umfang Bilderwelten sind.

Wir können unsere Kulturgeschichte als einen historischen Prozess des allmählichen Übergangs von realen Objektwahrnehmungen hin zu einer von Abbildern, Symbolen und anderen visuellen und akustischen Stellvertretern konstruierten Welt verstehen, einer Kulturwelt also, in der die authentische Natur vielfach nur noch als Erinnerung existiert, wodurch ein stilles Verlangen nach unvermittelten Erlebnissen ständig wach gehalten wird. Dies mag vielleicht erklären, weshalb der Tourismus ganz parallel zur Industrialisierung und der zunehmenden Konstruktion artifizieller Lebensumgebungen rasant aufblühen konnte, und zwar ausschließlich in den Industrieländern.

Die inneren Anschauungen, die sich Menschen von ihrer Lebenswelt und den Angeboten an Bildern machen, sind kein teilnahmsloses Registrieren, sondern regen Gefühle an. Diesen Umstand macht sich die Werbung zunutze, und wir können ihn ohne Umstände erweitern auf alle anderen öffentlichen Kommunikationen, in denen ein bestimmtes Verhalten von Menschen angeregt werden soll, z.B. die Reiselust, das ästhetische Wohlbefinden oder die Zustimmung zum Wahlprogramm einer Partei.

Kommen wir jetzt näher auf die Region zu sprechen. Ich lasse die Frage beiseite, was wir unter Region verstehen können. Wir haben ja alle zumindest eine gewisse Vorstellung oder Ahnung, was das sein könnte. Widmen wir uns vielmehr der Frage zu, welche Interessen im Spiel sein könnten, wenn eine konkrete Region ein eigenes Profil erhalten soll, das gegenüber anderen etwas auffällig Eigenes aufweist.

Die wichtigsten Interessensphären scheinen mir diese zu sein:

1. Die Region soll wirtschaftlich attraktiv sein, also beispielsweise für Industrie und Gewerbe als Standort interessant sein;

2. Die Region soll die Bindung ihrer Einwohnerschaft durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl stärken;

3. Die Region soll sich der Außenwelt als interessant für Besucher präsentieren.

Wir könnten die Liste natürlich fortsetzen oder jeden dieser drei Punkte weiter detaillieren. Vielleicht wird aber auch so schon deutlich, dass das Image der Region keine gegenstandslose ästhetische Komposition, also kein Kunstwerk ist, sondern reale Entsprechungen hat und bestimmten Haltungen und konkreten Taten ermuntern soll. Daraus folgt, dass das Image der Region nicht illusionär sein darf, sondern mit den Tatsachen in Einklang stehen muss.

Bis jetzt habe ich überwiegend aus der Position der Wahrnehmung und der möglichen und erwünschten Reaktionen auf angebotene Impressionen argumentiert. Die zweite Fragestellung bezog sich auf die Position derer, die solche Impressionen hervorbringen mit der Absicht, konkrete Handlungen zu stimulieren, z.B. Kauflust, Reiselust oder Erlebnislust. Und dahinter steht dann die zentrale Frage nach den Beiträgen der Kulturinitiativen.

Bei diesen Überlegungen müssen wir zwei Ebenen klar unterscheiden: die Ebene der realen Tatsachen und Aktivitäten in der Region, also das Objekt selbst, und die Ebene des öffentlichen Erscheinungsbildes der Region, also ihr Abbild. Die konkrete Arbeit der Kulturinitiativen gehört in die erste, die reale Ebene. Aber sie wirkt natürlich in die zweite Ebene hinein.

Für diejenigen, die das öffentliche Erscheinungsbild bearbeiten, stellt sich die Frage, ob jede kulturelle Aktivität erkennbar einbezogen werden oder ob eine Beschränkung auf Schwerpunkte erfolgen soll und welche Auswahlkriterien dabei gelten sollen. Manche kulturellen Aktionen sind einmalige Ereignisse, die gar nicht in der Region wurzeln. Sie erscheinen wie Fremdkörper und wirken kaum länger als ein nächtliches Feuerwerk. Die Schwierigkeit liegt hier darin, dass jede Innovation beim ersten Mal wie etwas Fremdes wirkt, dass sie aber, wenn sie allgemein akzeptiert wird und durch Wiederholungen mit der Zeit zu einem in der Region verankerten Eigenleben führt, zur Tradition werden kann. Als die Salzburger Festspiele 1920 von Max Reinhardt ins Leben gerufen wurden, waren sie in der verschlafenen Bischofsstadt ein Fremdkörper. Heute sind sie eine Tradition mit weltweiter Ausstrahlung und immensem touristischen Nutzen.

Aus diesen knappen Darlegungen können wir eine Regel ableiten, die bei Fragen der Bewertung und Förderung von Aktivitäten in der Region eine zentrale Rolle spielen kann: Kontinuität oder Nachhaltigkeit ist anzustreben. Projekte, Initiativen und Events tragen dann zur Formung eines substanziellen regionalen Profils bei, wenn sie mit einer gewissen Verlässlichkeit und Regelmäßigkeit und möglichst mit ansteigender Qualität wiederkehren. So bilden sich in der Öffentlichkeit Erwartungen, und die sind es, die im Bewusstsein der Öffentlichkeit markante Vorstellungen erzeugen.

Die hervorhebbaren, besonderen Eigenschaften einer Region bestehen natürlich nicht nur aus Innovationen. Das Erscheinungsbild einer Region setzt sich immer aus dem zusammen, was im weitesten Sinne zum kulturellen Erbe gehört, und dem, was an Neuem kreiert und eingetragen wird. Die Region ist mit dem, was in ihr geschieht, weder ein bloßes Museum des kulturellen Erbes noch ein reines Versuchslabor, sondern zeigt ihre Vitalität in der Fähigkeit, Verschiedenes zusammenzubinden. Das Erscheinungsbild sollte Kontinuität und Mobilität, Substanz und Vitalität signalisieren

Öffentlichkeitsarbeit für die Region muss - wie erwähnt - ebenfalls selektiv vorgehen und eine durchdachte Auswahl treffen. Voraussetzung dafür ist zum Einen eine gute Kenntnis dessen, was in der Region tatsächlich an Aktivitäten im Gange ist, und zum Anderen eine auf breiter Konsensbasis akzeptierte Vision der Region als Kultur-, Lebens- und Wirtschaftseinheit im Raum. Ein solches Selbstverständnis kann im übrigen zugleich die Grundlage für gezielte Kulturförderung sein. Veranstaltungen wie diese sind eine exzellente Möglichkeit, beides miteinander zu verbinden.

Sie werden vielleicht dagegen halten: Einen Konsens über das Selbstverständnis der Region anzustreben, sagt sich so leicht, ist aber in der Praxis kompliziert und langwierig, falls es überhaupt zu konkreten Ergebnissen kommt. Was ich hier nur mit wenigen Worten habe beschreiben können, ist in der Tat ein vermutlich nie endender Prozess, um Klarheit und Verbindlichkeit in der Frage des Profils der Region zu erreichen. Endgültige Lösungen sind mir im übrigen auch suspekt und nicht unbedingt erstrebenswert, weil sie dazu tendieren, neuen Erfahrungen und Entwicklungen die Luft zum Atmen zu nehmen. Erreichbar sind wohl immer nur Zwischenlösungen von eingeschränkter Verbindlichkeit und Geltungsdauer. Vielleicht sind Veränderungen der einzige Zustand, der bleibt. Oder salopp gesagt: Das ganze Leben besteht nur aus Zwischenlösungen.

Sehr viel regionale Vitalität geht von denen aus, die kulturelle Aktivitäten in Gang bringen und durchhalten und so auf einer elementaren Ebene substanzielle Beiträge zur Eigenart einer Region beisteuern. Manche von ihnen sind nur lokal wirksam und erreichen in der Region nur wenig breite Aufmerksamkeit, von einigen spektakulären Projekten einmal abgesehen. Jede einzelne von ihnen könnte auch keine eigene, professionelle Öffentlichkeitsarbeit durchstehen, weder vom Aufwand her noch von den Effekten. Deshalb empfiehlt sich, wenn es sich sachlich ergibt, eine überlokale, regionale Vernetzung singulärer Projekte und Intiativen, die nicht nur inhaltlich kooperieren, sondern vor allem auch gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit organisieren. Auf diese Weise könnte eine prägnante Entwicklungslinie des Kulturlebens in der Region dargestellt und auch außerhalb der Region wahrnehmbar gemacht werden.

Lassen Sie mich ein paar Worte zum Verhältnis von Kultur und Wirtschaft sagen, ein Aspekt, der auf beiden Seiten oft nicht richtig eingeschätzt wird. Wirtschaftstätigkeit, also die Erzeugung von Produkten und Dienstleistungen, wird über den Markt denjenigen vermittelt, die einen entsprechenden Bedarf zu erkennen geben. Es dürfte jedem klar sein, dass das Zustandekommen von Bedarf zwingend aus zwei Komponenten zusammengesetzt ist: Kaufkraft auf der einen und individuelle Lebensstilideen auf der anderen Seite.

Lebensstile sind Kinder der gelebten Kultur, und deshalb ist praktische Arbeit auf allen Ebenen des Kulturlebens eine notwendige und indirekt auch wirtschaftsfördernde Aktivität. Bei der Gestaltung individueller Lebensstile kommt es nicht nur darauf an, was einer kann, sondern auch, was einer will. Phantasie über das real Mögliche ist hier gefragt. Welche Lebensstile sich realisieren lassen, wird davon bestimmt, wie ein Mensch sein Umfeld konkret erlebt und wie er für sich klärt, was materiell möglich ist. Bei alledem ist er darauf angewiesen, seinen Bedarfs überwiegend über den Markt zu beziehen. Mit anderen Worten: Die Wirtschaft liefert und begrenzt zugleich die materielle Basis für jede Art von Lebensstilphantasie. Andererseits ist kulturelle, insbesondere künstlerische Arbeit ihrerseits die Quelle menschlicher Vitalität und Lebenslust und stimuliert so die Bedarfsseite. Kulturelle Kommunikation besitzt folglich auch Signalqualität für die Wirtschaft.

Abschließend eine kurze Bemerkung zum Begriff "Region". Sie ist ein geographisches Raumgebilde, das oft unterschwellig die Vorstellung eines Gefälle von den urbanen Zentren zur Region mitschwingen lässt. In der Region ist alles etwas kleiner, moderater, langsamer als in der Großstadt, eben provinziell. Das mag zum Teil immer noch so sein, aber im Grundsatz halte ich das Bild von einem Stadt-Land-Gefälle in wirtschaftlicher, kultureller und politischer Hinsicht für überholt, und zwar hauptsächlich aus folgenden Gründen:

1. Städte werden zunehmend nicht mehr aus ihrem unmittelbaren Umland, sondern aus fernen Gebieten spezialisierter, agrarindustrieller Produktion versorgt. Die Region ist nicht mehr bloßer Zulieferer für die Stadt, sondern etwas Eigenes.
2. Eine neues Gefälle hat sich etabliert zwischen stadtnahen und stadtfernen Siedlungen. In Stadtnähe haben sich die Bauerndörfer durch Zuzug aus der Stadt mehr und mehr in Dörfer ohne Bauern verwandelt. Stadtferne Dörfer werden dadurch weniger tangiert. Tendenziell sickern urbane Lebensstile zunehmend in die Region ein und weichen Unterschiede oder gar Gegensätze auf.
3. Die weltumspannenden Kommunikationsmedien haben begonnen, das klassische Kultur- und Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land zu relativieren. Bewohner in der Region haben heute über die elektronischen Medien die gleichen Zugänge zu den Quellen und Archiven der persönlichen und beruflichen Bildung wie die Stadtbewohner.
4. Der langwierige Umbau der Volkswirtschaften von einer noch bis ins frühe 20. Jh. dominierenden Landwirtschaft zu einer dominierenden Industriewirtschaft ist heute weitgehend abgeschlossen und wird seit einiger Zeit von einer rasanten, überproportionalen Steigerung des Dienstleistungssektors, einschließlich des Tourismus abgelöst. Der Dienstleistungssektor bildet wirtschaftlich eher kleine, standortflexible Einheiten, für die die Region durchaus wettbewerbsfähige Standorte ausweisen kann.

Das Wirtschaftsprofil der Region kann von alledem profitieren und schrittweise eigenständige Lebensverhältnisse schaffen. Zu einem solchen Umbau gehören kulturelle Aktivitäten, und es gehört dazu eine entsprechende politische Aufwertung von Kulturarbeit in der Region, die sich nicht auf bloße ideelle Förderung beschränken sollte.

Insgesamt lässt sich sagen, dass ein anhaltender Prozess der Loslösung der Region von der Dominanz durch die Metropolen im Gange ist. Regionen definieren sich immer weniger noch durch ihre Zugehörigkeit zu einem Oberzentrum oder einer Metropole. Die Region ist auch kulturell nicht länger das verkleinerte, provinzialisierte Abbild der urbanen Zentren, sondern wird sich auf ihre eigenen Potenziale besinnen.

¹ Zeki, Semir: Inner Vision - An Exploration of Art and the Brain. (Oxford University Press) Oxford 1999.

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